Hingsehen: Das Supertalent

Mir war schlecht. Ich fühlte mich so, als sei soeben sämtliches menschliches Elend an mir vorbeigezogen. Widerlich, ekelerregend. Ich hielt mir Augen und Ohren zu. Und da lief "Das Supertalent" erst eine halbe Stunde.

Da war zum Beispiel der ältere Herr, der zwar nicht ganz helle, aber eigentlich ganz nett wirkt. Problem: Er behauptete singen zu können wie Pavarotti und Michael Jackson. Konnte er natürlich nicht. Aber was soll man auch erwarten, die Begleitung hörte nur er auf seinen Ohrstöpseln, seinen Gesang verstärkte er durch einen Gitarren-Amp. Ich weiß gar nicht wer schlimmer war. Da waren die Redakteure, die als erste Sauerei den Typen auftreten ließen. Sie hätten ihm natürlich auch anbieten können, Playback und Gesang durch die Studioanlage laufen zu lassen, aber hey, so ist das ganze natürlich viel affiger.

"Affig" ist auch ein gutes Stichwort. Den solche, mehr schlecht als recht als Mensch verkleidet, stellten offensichtlich den Großteil des Publikums. Denn anstatt den armen Mann zu bemitleiden, lachten sie ihn auf solch bösartige Weise aus, dass ich mich spontan an einen dieser archetypischen Mittelalter-Mobs (die Variante, die Tomaten schmeißt) erinnert fühlte. An dieser Stelle wäre Deeskalation die Aufgabe von Jury und Moderatoren gewesen. Doch die machen munter mit, halten den Typen sogar noch auf, als er sichtlich erschüttert versucht die Bühne zu verlassen.

Das war menschlich wirklich so etwas von daneben. Vom Niveau ungefähr so, als ob Oliver Pocher einen geistig Behinderten fertigmachen würde. Ungefähr so daneben, wie von den Eltern, die ihr vierjähriges (!!!) Mädchen auf die Bühne stellen. Natürlich, weil das Kind das so wollte. Das Mädel ist natürlich herzallerliebst, genauso wie alle anderen Kinder. Was sie auf einer Bühne verloren hat? Warum auf einmal Bruce Darnell weinen muss? Ich weiß es wirklich nicht.

Zum Zeitpunkt, als ich diesen Artikel anfing, schwingen gerade vier Männer ihre Dödel, die sie in ein Entenkostüm eingepackt haben, durch die Gegend. Schlimm. Wo mir dann aber wirklich die Kotze hochkam, war als die Castingshow-typische Tränendrüsenkacke losging. Wieder ein süßes Mädchen, diesmal mit totkranker Mutter, sie singt "Over The Rainbow". Das berührt natürlich. Wird aber von der Redaktion eben aus eiskalter Berechnung ins Programm gehievt. Lässt sich halt super vermarkten. Echt zum Kotzen.

Es gibt einen großen Vorsatz, den ich mir für mein Berufen, sogar für mein ganzes Leben gemacht habe: Ich möchte immer morgens in den Spiegel schauen können. Warum ich das jetzt sage? Ganz einfach, RTL ist als potenzieller Arbeitgeber durch den gestrigen Abend für mich ausgeschieden.

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Als Digital Native (will sagen: hat seit frühester Kindheit tagtäglich mit Medien zu tun) bewegt sich der Tsuji heutzutage in dem Spannungsfeld aus Anspruch und akuter Verdummungsgefahr. Hier tut er seiner Meinung, über die neuesten Entwicklungen in den Leitmedien kund und versucht schrottig von töfte zu trennen.
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